Das Frühlingserwachen der NHL - Lockout bald vorüber?
Zürich, 5. Juni
Thomas Roost, unser Schweizer Mitarbeiter, der unter anderem auch für das NHL Scouting Büro in Europa arbeitet und über jahrelangen Einblick hinter die Kulissen verfügt, glaubt eine Einigung im NHL-Tarifstreit steht bald bevor.
Die NHL und die Spielergewerkschaft stehen kurz vor dem finalen Durchbruch in den Verhandlungen! Warum ich das weiß? Wissen tue ich es nicht, aber es gibt untrügliche Zeichen dafür. Ich rechne fest damit, dass die NHL ihren normalen Betrieb wieder aufnehmen wird. Die Verhandlungen werden bist spätestens Mitte Juli im Grundsatz erfolgreich abgeschlossen sein. Friede, Freude Eierkuchen? Meine Antwort ist ein Ja und ein Nein.
Zuerst zum Nein:
Die NHL kann nicht zur Tagesordnung zurückkehren. Zu viel Geschirr ist zerschlagen. Das heißt eine Rückkehr zur Tagesordnung würde nur Verlierer hinterlassen. Die NHL muss wachsen in Nordamerika. Neue Fans müssen gewonnen werden und es ist schon schwierig genug, die alten zu „reaktivieren“. Die NHL darf und wird sich nicht damit zufrieden geben, nach langen und schwierigen Verhandlungen mit den TV-Anstalten, den Stadionbetreibern, Sponsoren etc. den alten Status mehr oder weniger wieder zu erreichen denn der alte Status war ungenügend: Eher rückläufige TV-Einschaltquoten, unbefriedigende Resultate im Bemühen um neue Märkte, Degeneration des Spielspektakels durch Perfektionierung der Defensivsysteme etc.
Nun zum Ja:
Die Verantwortlichen haben dies erkannt und im Schatten der vordringlichen Verhandlungen mit der Spielergewerkschaft wird in der NHL leidenschaftlich und ernsthaft an der Verbesserung des Produktes Eishockey gearbeitet. Ich wäre nicht erstaunt, wenn die NHL mit einem deutlich „besseren“ Produkt zurückkehrt mit dem Ziel: Mehr Spektakel, mehr Tore, mehr Einfluss auf dem Eis der wirklich talentierten Spieler, größere Schwierigkeiten für Zerstörer des kreativen Elementes, bessere TV-Übertragungen, besseres Marketing.
Einige Beispiele der konkreten Überlegungen:
Das Volumen der Goalieausrüstungen soll reduziert werden und/oder die Tore werden leicht vergrößert. Strafffreie Obstruktion wird nicht nur erschwert, sondern durch eine entsprechende Regel verunmöglicht. Das offene Eis wird durch das Verschieben der blauen Linien vergrößert, talentierte Spieler erhalten so deutlich mehr Platz. Ideen von Theoretikern, von Schreibtischtätern, die unser gutes altes Hockey in Frage stellen? Keineswegs. Einer der Protagonisten dieser Ideen ist der NHL-Dinosaurier Harry Sinden von den Boston Bruins. Er ist derart konservativ, dass sich selbst Don Cherry, der Max Merkel der NHL, vor ihm verneigt. Zudem: Diese Ideen werden aktuell in Trainingscamps in der Praxis getestet, professionell gefilmt und die Resultate entsprechend ausgewertet. Weiter gilt es zu bedenken, dass 1943 die rote Linie eingeführt wurde, schon damals gab es hin und wieder Revolutionen im Regelwerk. Nehmen wir die NBA als Beispiel: Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde die „Three-Point-Line“ implementiert, ebenfalls eine Revolution, die aber ohne Zweifel zu gesteigerter Attraktivität geführt hat. High Definition TV (HDTV) wird Einzug halten und unsere Sportart attraktiver machen, neue Fernsehzuschauer generieren und auch uns Liebhabern das Eishockey vorteilhafter präsentieren. Das HDTV-Fernsehbild erzeugt eine 8-fach höhere Auflösung, die 16:9-Kameras werden eine bessere „Totale“ im Bild festhalten können, ohne dauernd umschwenken und dadurch Bildverzerrungen produzieren zu müssen. Fernsehexperten sind sich einig: HDTV wird speziell dem Eishockey sehr viel bringen und für die NHL auch wieder potente Fernsehdeals ermöglichen. Am wichtigsten ist und bleibt aber das Produkt auf dem Eis und dieses Produkt lebt von der Qualität der Spieler. Die „neue“ NHL wird mit 3 „neuen“ Jungstars zurückkehren und diese werden das Niveau der besten Liga der Welt noch weiter verbessern. Es sind dies die Russen Alexander Ovechkin und Evgeni Malkin sowie das Kanadische Jahrzehntetalent Sidney Crosby. Ich freue mich riesig auf diese Super-Trojka. Sie werden neben den bereits bekannten Heatley, Thornton, Iginla, Lecavalier, Hossa, Spezza, Lehtonen etc. die neuen Botschafter der NHL.
Erschrocken, bei all diesen möglichen Quantensprüngen im Regelwerk der von uns allen so geliebten Sportart?
Denken wir daran, nicht wir, die Hockey-Fetischisten, sind in erster Linie gefragt, das Hockey weiterzuentwickeln. Wir sind derart vom Hockeyvirus infiziert, dass wir so oder so alles „reinziehen“ was nach Hockey ausschaut. Wir sind glücklich mit dem Spiel wie es ist und werden es bleiben. Viel wichtiger ist: Wir müssen diejenigen Beobachter ernst nehmen, die Hockey mehr oder weniger interessant finden, aber… „Hockey im TV ist nicht attraktiv, ich sehe den Puck kaum“. „In den Stadien ist es rauchig und schmutzig, da gehe ich nicht gerne hin.“ “Es gibt zu wenig Tore, es wird zu vorsichtig gespielt, die Dynamik ist verloren gegangen.“ „Ich wollte mal den einen oder anderen Superstar sehen, aber die sind mir nicht aufgefallen, die sind ja gar nicht oder nur unwesentlich besser als die anderen.“ Dies sind Statements von potenziell interessierten Hockeyzuschauern und diese Statements muss die NHL sehr ernst nehmen… und sie nimmt sie ernst!
Ich nenne zum Schluss ein Augen öffnendes Beispiel: In der vergangenen Saison hat Joe Thornton die Schweizer Liga fast nach Belieben dominiert. Er war in meinen Augen alles überragend, ein Augenschmaus, phantastisch, genial! Nach einem Spiel mit Thornton habe ich einen alten Hockeyfreund getroffen und wir haben über ihn diskutiert. Schockiert habe ich zur Kenntnis genommen, dass Thornton in seinen Augen nicht eben groß aufgefallen ist, er sei enttäuscht. Zuerst habe ich mit Unverständnis reagiert, aber später bin ich zum Schluss gelangt, dass exakt dies das Problem des heutigen Produktes Eishockey ist: Selbst für mehr oder weniger geübte und regelmäßige Eishockeykonsumenten fallen die echt guten Spieler kaum mehr auf, weil ihr Talent durch ein feinmaschiges und diszipliniertes Defensivverhalten (zu) wirksam eingeschränkt werden kann.
Die NHL-Verantwortlichen haben die Probleme erkannt und dies stimmt mich optimistisch. Die Geburt der „neuen“ NHL ist schmerzhaft und beschwerlich. Während der Schwangerschaft wurde uns sogar monatelange Bettruhe verordnet. Trotzdem dürfen wir auf ein gesundes, cleveres und attraktives Baby hoffen. Eines mit einem richtigen „Puck-Head“. Ich freue mich!
Thomas Roost, Central Scouting Europe
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